Sexismus und sexualisierte Gewalt im Sport
Sexismus - ein gesamtgesellschaftliches Problem
Sexismus ist eine Form der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts oder der Geschlechtsidentität. Grundlage dafür sind Geschlechterstereotype, die hierarchische Verhältnisse zwischen den Geschlechtern annehmen. Sexismus hat viele Formen und zeigt sich sowohl auf individueller als auch auf struktureller Ebene.1 Das Bewusstsein für Sexismus ist bei verschiedenen Personengruppen ganz unterschiedlich ausgeprägt.2
Sexismus im Alltag in Deutschland
Sport als Lebensbereich in Deutschland
Um über die bestehende Problematik von Sexismus aufzuklären und wirksame Gegenmaßnahmen zu verankern, hat Bundesministerin Lisa Paus das Bündnis „Gemeinsam gegen Sexismus“ ins Leben gerufen. Ziel ist es, ein breites gesamtgesellschaftliches Bündnis mit vielen Partner*innen zu schaffen, die sich gegen Sexismus und sexuelle Belästigung einsetzen.3
Definition des Begriffes Sexismus
- Der Begriff Sexismus bezeichnet die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts oder der Geschlechtsidentität.
- Sexismus kann sich gegen alle Geschlechter richten, jedoch sind Mädchen und Frauen sowie Menschen, die sich nicht heteronormativen, zweigeschlechtlichen Geschlechtervorstellungen zuordnen lassen, wie z.B. nicht-binäre Menschen oder trans* Personen, überproportional betroffen.
- Sexismus tritt häufig nicht isoliert auf, sondern in Verbindung mit anderen Diskriminierungsformen, zum Beispiel Rassismus oder Ableismus. Diese sich überlagernden Formen der Diskriminierung werden auch intersektionale oder mehrdimensionale Diskriminierungen genannt. 1
Sexismus im Sport
Sexismus im Sport nimmt verschiedene Formen an und zeigt sich anhand von diskriminierenden Praktiken, die Chancengerechtigkeit und einer klischeefreien Sportkultur entgegenstehen.
Sexualisierte Gewalt
Sexismus ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Neben dieser Form der Diskriminierung gilt es, sexualisierte Gewalt und sexuelle Belästigung in all ihren Erscheinungsformen zu verhindern und zu bekämpfen.
Definition des Begriffes sexualisierte Gewalt
Der Begriff der sexualisierten Gewalt beschreibt Handlungen, die das sexuelle Selbstbestimmungsrecht verletzen.
- Sexuelle Belästigung – eine Form sexualisierter Gewalt, die auch ohne direkten Körperkontakt erfolgen kann:
- z.B. über sexuell anzügliche Blicke, Sprüche und Bemerkungen oder (elektronische) Mitteilungen mit sexuellem Inhalt, oder auch exhibitionistische Handlungen
- Dazu zählen auch sexuelle Grenzverletzungen aller Art, die nicht immer eindeutig als Übergriff identifizierbar sind; entscheidend ist hier das subjektive Empfinden der betroffenen Person. Ungleiche Machtverhältnisse können eine Rolle spielen (z.B. Altersunterschiede, höhere Position der verursachenden Person am Arbeitsplatz). Beim Sport kann z.B. das Berühren von intimen Körperstellen vermeintlich versehentlich erfolgen.
- Vergewaltigungen, aufgezwungene sexuelle Berührungen, Küsse (dies kann auch unter Anwendung von K.O. Tropfen erfolgen) oder das Ausüben von Zwang, sexuelle Handlungen an einer Person vorzunehmen, sind (schwere) Formen sexualisierter Gewalt.
Ergänzend kann die Einteilung in „leichte“, „moderate“ und „schwere“ Formen der sexualisierten Gewalt erfolgen. Dies ermöglicht, neben der Art der Situation auch die Häufigkeit von Ereignissen zu berücksichtigen. Sexuell anzügliche Bemerkungen, die der leichten Form sexualisierter Gewalt zugeordnet werden, können auch als moderate oder schwere Formen eingestuft werden, wenn diese häufiger oder dauerhaft auftreten.4
Frauen mit Beeinträchtigungen oder Behinderungen sind besonders gefährdet von sexualisierter Gewalt bzw. besonders häufig betroffen. Aber auch Männer können davon betroffen sein.
Sexualisierte Gewalt im Sport
Eine Besonderheit im Sport sind die bestehenden Machtgefüge, die oftmals unhinterfragt bleiben, zum Beispiel die Beziehung zwischen Trainer*innen und Sportler*innen. Außerdem spielt die Angst des Verlusts von Team und Vereinszugehörigkeit eine große Rolle bei der Offenlegung von Gewalterfahrungen.5
Die Grafiken zeigen Erkenntnisse der qualitativen Studie „Sexualisierte Gewalt und sexueller Kindesmissbrauch im Kontext des Sports”. Die hier befragten Betroffenen waren zum Zeitpunkt des ersten Vorfalls Kinder und Jugendliche (2 bis 16 Jahre alt).5
Geschlecht der Betroffenen (n=72)
Die Betroffenen sind zu drei Viertel (75 %) weiblich und zu fast einem Viertel (22 %) männlich. Durchschnittlich waren die Betroffenen (n=66) 11,5 Jahre zum Zeitpunkt des ersten Übergriffs. 5
Häufigkeit der Gewalterfahrung (n=67)
Die Studie zeigt auf, dass die Betroffenen verschiedene Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt machten. Oftmals wurden mehrere Formen von sexualisierter Gewalt erlebt. Variationen gibt es hinsichtlich der Häufigkeit, in der die Erfahrungen gemacht wurden.5
Organisatorischer Kontext der Gewalterfahrung (n=68)
Betrachtet man den organisatorischen Kontext der Gewalterfahrung im Sport, zeigt die Studie, dass die Betroffenen diese in der deutlichen Mehrheit der Fälle (81 %) im Sportverein erfahren haben.5
Orte der Gewalterfahrung (n=68)
Die Studie zeigt bezüglich des konkreten Orts der Gewalterfahrung der Betroffenen, dass diese sexualisierte Gewalt im Rahmen des Sports an einer Vielzahl von Orten erlebt haben.5
(Leistungs-)Ebene der Sportausübung bei Gewalterfahrung (n=55)
Die Leistungsniveaus sowie organisatorischen Kontexte im Sport unterscheiden sich auf viele Arten. Die Betroffenen der Studie lassen sich den Leistungsebenen Freizeitsport, wettkampforientierter Breitensport und Leistungssport zuordnen. Innerhalb der Studie ist der Leistungssport mit 40 % deutlich überrepräsentiert im Vergleich zur sportlichen Leistungsebene von Heranwachsenden. Die Studie schlussfolgert daraus „eine gewisse Risikokonstellation für den Leistungssport”.5
Sportart bei Gewalterfahrung (n=72)
Die Studie zeigt auf, dass die Betroffenen in einer Vielzahl von unterschiedlichen Sportarten aktiv waren.5
Geschlecht der Tatpersonen (n=72)
Die Studie weist darauf hin, dass die Gewalterfahrungen sehr unterschiedlich waren, es jedoch einen Aspekt gibt, bei dem große Übereinstimmung herrscht. Die überwiegende Mehrheit der Tatpersonen war männlich (94 %). Lediglich in zwei Fällen wurde eine Frau als Täterin benannt.5
Position der Tatperson (n=72)
Schaut man sich die Position der Tatpersonen an, so zeigt die Studie, dass vier Fünftel der Gewalterfahrungen (81 %) von Trainer*innen ausgingen. Andere Betroffene berichteten von Übergriffen durch Personen in anderen Tätigkeiten wie zum Beispiel Ärzt*innen, Lehrer*innen, Dozent*innen oder Fahrer*innen.5
Präventionsprogramme
Die Präventionsarbeit im Bereich sexualisierter Gewalt zielt darauf ab, eine "Kultur des Hinsehens und der Beteiligung" zu fördern. Neben der Prävention sind auch Intervention und Aufarbeitung wesentliche Instrumente zum Schutz vor Gewalt.
- Wichtige Maßnahmen sind zum Beispiel die Angabe von Ansprechpersonen oder die Qualifizierung von Mitarbeitenden und Betreuenden
- Ziel ist, Sportler*innen und Zuschauer*innen durch eine flächendeckende Hilfsstruktur zu schützen
- „Münchner Erklärung“ des DOSB mit dem Titel „Vorbeugen und Aufklären, Hinsehen und Handeln!“ seit 2010 bundesweite Leitlinie für den Kinder- und Jugendschutz im Sport
- Das DOSB-Stufenmodell sieht vor, dass alle Mitgliedsverbände bis Ende 2024 Maßnahmen zur Prävention und zum Schutz vor sexualisierter Gewalt und Belästigung umgesetzt haben 6
Anlaufstellen für Betroffene
Informationen und Ansprechpersonen in den Landessportbünden/ Sportjugenden
- Zielgruppen: Kinder, Jugendliche, Erwachsene, die im Sport aktiv sind/waren, im Bedarfsfall Angehörige, Partner*innen von Betroffenen, Zeug*innen
- Kontakt: https://safesport.dosb.de (Auswahl des Bundeslandes muss zunächst getroffen werden)
Zentrale Hinweisstelle
- Zielgruppen: Mitarbeitende, Mitglieder, Athlet*innen, Stakeholder von Verbänden, die sich der Zentralen Hinweisstelle angeschlossen haben sowie außenstehende Dritte
- Kontakt: Internetbasiertes Meldesystem https://zentrale-hinweisstelle.sportdeutschland.de/
Zentrale Hinweisstelle des DFB
- Zielgruppen: Anlaufstelle im Hinblick auf Diskriminierung, sexualisierte Gewalt und Menschenrechtsverletzungen
- Kontakt: https://www.dfb.de/verbandsstruktur/interne-meldestelle/
Unabhängige Ansprechstelle Safe Sport
- Zielgruppen: Kinder, Jugendliche, Erwachsene, die im Sport aktiv sind/waren, im Bedarfsfall Angehörige, Partner*innen von Betroffenen, Zeug*innen
- Kontakt: Tel.: 0800-11 222 00, https://www.ansprechstelle-safe-sport.de
Anlauf gegen Gewalt - Unabhängige Beratungsstelle im Spitzensport
- Zielgruppen: Personen aus dem Spitzensport
- Kontakt: Athleten Deutschland: Tel.: 0800-90 90 444, https://www.anlauf-gegen-gewalt.org
Hilfeportal sexueller Missbrauch - Hilfetelefon
- Zielgruppen: Jugendliche und Erwachsene
- Kontakt: Tel.: 0800-22 555 30 (mehrsprachig), https://www.hilfe-portal-missbrauch.de
Hilfetelefon “Gewalt gegen Frauen”
- Zielgruppen: Frauen, mit und ohne Behinderung sowie deren Angehörige, Freund*innen und Fachkräfte
- Kontakt: Tel.: 116 016 (365 Tage, 24-Stunden-Beratung, mehrsprachig), Online- oder Chat-Beratung https://www.hilfetelefon.de
Hilfetelefon “Gewalt an Männern”
- Zielgruppen: Männer sowie deren Angehörige, Freund*innen und Fachpersonal
- Kontakt: Tel.: 0800-123 99 00, Chat-Beratung https://www.maennerhilfetelefon.de
Medienbeiträge
- Dokumentation: „Fußballerinnen: Sexismus und dumme Sprüche“, ARD – Panorama, 2022
- Dokumentation: „Nicht vergessen, nie vergeben. Mein Leben nach dem Missbrauch“, ZDF – 37 Grad, 2022
- Dokumentation: „Machtmissbrauch und sexuelle Übergriffe im Sport: Wie können wir das verhindern?”, NDR Info Redezeit, 2023
- Dokumentation: „Sexualisierte Gewalt: Hohe Haftstrafe für Judotrainer”, Deutschland Funk - Sport am Samstag, 2023
- Dokumentation: „Gegen die Wand – aber nicht gebrochen”, ARD Sportschau - Sport inside, 2023
- Dokumentation: „Betroffene schreiben Geschichte”, ARD Sportschau, 2022
- Dokumentation: „Sexueller Missbrauch im Sport – Das große Tabu", ARD Sportschau, 2019
Weitere Literatur
- Rulofs, Bettina (2016): „Safe Sport“ Schutz von Kindern und Jugendlichen im organisierten Sport in Deutschland. Erste Ergebnisse des Forschungsprojektes zur Analyse von Häufigkeiten, Formen, Präventions- und Interventionsmaßnahmen bei sexualisierter Gewalt. Köln: Deutsche Sporthochschule Köln.
- Bartsch, Fabienne & Rulofs, Bettina (2020): Safe Sport – Ein Handlungsleitfaden zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Grenzverletzungen, sexualisierter Belästigung und Gewalt im Sport. Frankfurt am Main: Deutsche Sportjugend.
- Rulofs, Bettina et al. (2022): Prävalenz und Strukturen der Prävention im organisierten Sport in Deutschland, in: M. Wazlawik et al. (Hrsg.), Sexuelle Gewalt gegen Kinder in pädagogischen Kontexten. Wiesbaden: Springer Fachmedien.
- Rulofs, Bettina et al. (2022): SicherImSport. Sexualisierte Grenzverletzungen, Belästigung und Gewalt im organisierten Sport. Häufigkeiten und Formen sowie der Status Quo der Prävention und Intervention. Köln & Ulm: Deutsche Sporthochschule Köln & Universitätsklinikum Ulm.
- Netzwerk gegen Sexismus und sexualisierte Gewalt im Fußball (2022): NO MEANS NO! Was tun bei sexualisierter Gewalt in Fußballfanszenen.
Weitere Informationen
- DFB – Kinderschutz – Prävention und Intervention von interpersoneller Gewalt
- Netzwerk gegen Sexismus und sexualisierte Gewalt im Fußball - Handlungskonzept gegen sexualisierte Gewalt im Zuschauer*innensport Fußball
- Projekt: SprachKick
- Projekt: SAFER (Support & Awareness for Female fans in European football through Research, prevention, and remedy)
- Schulungsvideos Safe Sport: Alle vor Gewalt schützen: Aufklären, Aufmerksam sein, Angst nehmen, Anlaufstellen finden
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Wippermann, Carsten (2022): Sexismus im Alltag. Wahrnehmung und Haltung in der deutschen Bevölkerung, 4. Auflage, Berlin.
Abb. 2: Ebd.
Abb. 3: Eigene Zusammenstellung Klischeefrei im Sport
Abb. 4: Rulofs, Bettina et al. (2022): Sexualisierte Gewalt und sexueller Kindesmissbrauch im Kontext des Sports. Auswertung der vertraulichen Anhörungen und schriftlichen Berichte der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs, S. 36.
Abb. 5: Ebd., S. 37.
Abb. 6: Ebd., S. 38.
Abb. 7: Ebd., S. 39.
Abb. 8: Ebd., S. 40.
Abb. 9: Ebd., S. 41.
Abb. 10: Ebd., S. 43.
Abb. 11: Ebd., S. 43.
Literaturverzeichnis
1 Gemeinsam gegen Sexismus: Wissen über Sexismus. Abrufbar unter: https://www.gemeinsam-gegen-sexismus.de/ueber-sexismus/wissen-ueber-sexismus/, zuletzt abgerufen: 08.11.2023.
2 Wippermann, Carsten (2022): Sexismus im Alltag. Wahrnehmung und Haltung in der deutschen Bevölkerung, 4. Auflage, Berlin. Abrufbar unter: https://www.bmfsfj.de/resource/blob/141246/6e1f0de0d740c8028e3fed6cfb8510fd/sexismus-im-alltag-pilotstudie-data.pdf, zuletzt abgerufen: 08.11.2023.
3 Gemeinsam gegen Sexismus: Das Bündnis „Gemeinsam gegen Sexismus”. Abrufbar unter: https://www.gemeinsam-gegen-sexismus.de/ueber-das-buendnis/, zuletzt abgerufen: 08.11.2023.
4 Rulofs, Bettina & Ohlert, Jeannine (2018): Sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche im Sport; in: vorgänge Nr. 223 (3/2018), S. 93-104. Abrufbar unter: https://www.humanistische-union.de/publikationen/vorgaenge/223/publikation/sexualisierte-gewalt-gegen-kinder-und-jugendliche-im-sport-1/#begriffsklaerung, zuletzt abgerufen: 10.11.2023.
5 Rulofs, Bettina et al. (2022): Sexualisierte Gewalt und sexueller Kindesmissbrauch im Kontext des Sports. Auswertung der vertraulichen Anhörungen und schriftlichen Berichte der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs, S. 21. Abrufbar unter: https://www.aufarbeitungskommission.de/wp-content/uploads/Sexueller-Kindesmissbrauch-Kontext-Sport_Studie_Aufarbeitungskommission_bf.pdf, zuletzt abgerufen: 10.11.2023.
6 Deutscher Olympischer Sportbund: Prävention und Schutz vor sexualisierter Belästigung und Gewalt (im DOSB, seinen Mitgliedsorganisationen und DOSB-nahe Institutionen). Abrufbar unter: https://safesport.dosb.de/fuer-verbaende, zuletzt abgerufen: 15.11.2023.